Paradise now – Religionskritik statt Rassismus! (Redebeitrag / Flugblatt)

Bei den Protesten gegen Michael Stürzenberger am 21. September 2019 in Rosenheim haben wir folgenden Redebeitrag gehalten. Der Text wurde auch als Flugblatt verteilt.

Heute sind wir in Rosenheim wieder gegen den rechten Multifunktionär Michael Stürzenberger auf der Straße, der seit Jahren unter unterschiedlichen Labels an der Organisation rassistischer Kundgebungen und Demonstrationen, so auch an einigen „Pegida“ – Demonstrationen in München, beteiligt ist. Bereits im Juli beschallte dieser selbsternannte „Retter des Abendlandes“ mit einer mehrstündigen Kundgebung die Rosenheimer Innenstadt. Hunderte Menschen hielten dagegen und demonstrierten damals lautstark gegen Rassismus.

Seine vorgeschobene „Islamkritik“ ist dabei nichts als Etikettenschwindel, um rassistische Ressentiments zu schüren und eine Politik der Abschottung und Ausgrenzung zu legitimieren. Ihm geht es darum, ein verallgemeinerndes und dämonisierendes Bild von Muslim_innen zu bedienen, das es ihm erlaubt, „den Islam“ als existenzielle Bedrohung für die westliche Zivilisation und sein geliebtes deutsches Volk darzustellen, die bekämpft werden muss.
Mit einer Kritik in ihrem Wortsinn, also dem rationalen Durchdringen von Sachverhalten, hat dieses Weltbild rein gar nichts zu tun, im Gegenteil – es ist brandgefährlich. Stürzenberger und Konsorten geht es nämlich nicht darum, den global erstarkenden Islamismus und seine gesellschaftlichen wie historischen Wurzeln zu kritisieren oder zu bekämpfen, sondern es geht ihnen darum, ihrer Anhängerschaft und ihrem Publikum eine Legitimation dafür zu geben, sich hinter rassistische und nationalistische Forderungen zu stellen. Besonders deutlich wird das z.B. aufgrund der Tatsache, dass sich „Pegida“ ursprünglich gegen Unterstützer*innen der PKK gründete, also gegen diejenigen an deren Seite die YPG/JPG und anderen in Syrien seit Jahren gegen die Islamisten des „Islamischen Staat“ und für eine säkulare Gesellschaft gekämpft haben und kämpfen.

Angesichts solcher Scheinkritik lohnt es sich, sich auch aus emanzipatorischer, linker Sicht mit der Rolle der Religion in unserer Gesellschaft auseinander zu setzen. Das religiöse Bedürfnis ist zu großen Teilen gesellschaftlich bedingt – also ein Produkt der Verhältnisse oder anders: ein „Seufzer der bedrängten Kreatur“ (Marx), wobei unter Bedrängung die sowohl körperlich wie geistig zu begreifende Entsagung und Beschädigung des Einzelnen zu verstehen ist. Die Zumutungen, welche die bestehende Form der Vergesellschaftung für den Einzelnen bereithalten – aktuell z.B. kapitalistische Produktionsweise, Patriarchat und Staat – schaffen erst das Bedürfnis des Einzelnen, diese Zumutungen zu rationalisieren, ihrer Sinnlosigkeit einen sakralen Sinn zu geben. Erst weil das Bestehende daran scheitert, die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen zu befriedigen, entsteht bei diesen das Bedürfnis, statt weltlichen Glücks die Erlösung im Himmlischen zu suchen. Oder um es kurz zu sagen, Religionskritik muss gleichzeitig Herrschaftskritik sein, also kein rein plakatives Ablehnen von Religion, sondern eine materialistische Kritik der Verhältnisse, die religiöse Ideologien – egal ob christliche, muslimische oder esoterische – als Verschleierung für das Bestehen ihrer ungleichen Verhältnisse benötigen.

Wo also eine rassistische pseudo-Islamkritik in Stellung gebracht wird, um Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen, gilt es an linke Grundwerte zu erinnern. Es gilt, was Marx schon vor rund 150 Jahren treffend formuliert hat:

„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Dabei dürfen wir allerdings nicht vergessen, Kader wie Stürzenberger als Stichwortgeber der sozialen Bewegung von rechts zu begreifen, die auf eine weitere Verschärfung der jetzt schon extrem restriktiven deutschen Asyl- und Migrationspolitik hinwirken. Ihnen geht es darum, Refugees und Migrant_innen kollektiv „dem Islam“ zuzuschreiben, damit zum Feind zu erklären und aus der Gesellschaft auszuschließen. Da diese rassistische Projektion keine Widersprüchlichkeiten zulässt, ist auch die Frage nach der individuellen Ausrichtung der Religiösität für sie irrelevant. An den tödlichen Außengrenzen der EU, deren weitere Militarisierung seit Jahren Kernforderung beispielsweise der  „Pegida“ – Demonstrationen ist, sterben seit Jahren Menschen, egal welchen Glaubens als Folge der rassistischen Abschottungspolitik Europas.

Der Kampf gegen das Erstarken der Rechten muss sich – wenn er erfolgreich sein will – also auch gegen jene gesellschaftlichen Verhältnisse richten, die rechte Bewegungen überhaupt erst möglich machen: Gegen religiösen Wahn und Irrationalismus, gegen den Rassismus, der die deutsche Gesellschaft nicht nur am rechten Rand, sondern bis weit in ihre Mitte hinein prägt und gegen eine Asyl- und Migrationspolitik, die Deutschland und Europa abschottet und an seinen Aussengrenzen jedes Jahr tausende Geflüchtete elendig sterben lässt. Gegen globale Verhältnisse, die, geprägt von (post)kolonialer Ausbeutung und kriegerischer Gewalt, Menschen in die Flucht zwingen und gegen eine Gesellschaft, die Migrant_innen und Geflüchteten demokratische Rechte abspricht und sie von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließt. Als antifaschistische und antirassistische Öffentlichkeit müssen wir in die Offensive gehen für eine solidarische Gesellschaft, die Menschen nicht nach Kriterien der Verwertbarkeit oder des Rassismus sortiert und globale Bewegungsfreiheit für alle Menschen garantiert. Ein solches universelles und demokratisches Recht auf globale Bewegungsfreiheit wird in gegenwärtigen Debatten wohl eher wahlweise als ‘sympathische, aber unrealisierbare Spinnerei’ oder als ‘Wahnsinn’ abgetan. Tatsächlich scheint es in den gegenwärtigen kapitalistischen und rassistischen Verhältnissen nicht denkbar. Doch diese Erkenntnis darf nicht in die Doppelmoral der Mehrheitsgesellschaft oder die resignierte Anerkennung des Status Quo führen. Die Doppelmoral besteht u.a. darin, von Humanismus zu faseln und gleichzeitig Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Wenn die gegenwärtigen Verhältnisse globale Bewegungsfreiheit der Migration verunmöglichen, dann bedarf es nicht weniger als einer radikalen Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Diese Perspektive tragen wir heute auf die Straßen. Zeigen wir Stürzenberger und seiner Anhängerschaft, dass sie in Rosenheim auch weiterhin nichts zu suchen haben. Seid entschlossen und kreativ. Denn: Weder nationale oder regligiöse Kollektive, noch Nationalismus und Rassismus sind für uns eine Alternative.

Die befreite Gesellschaft allerdings schon!

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